Von Nina George, Schriftstellerin, Berlin. Es gilt das gesprochene Wort.
Sehr geehrte Kolleginnen, Kollegen, liebe non-binäre Kollegiale; liebes Autorinnenkollektiv RAUF und liebe A*dS Autorinnen und Autoren der Schweiz:
Am 11. November 1987, ich war 14, verriet ich meiner Großmutter zwei meiner intimsten Geheimnisse: Ich fälschte meine Tagebücher mit ausgedachten Ereignissen. Und: ich will Schriftstellerin werden! Sie erwiderte erschüttert: «Aber, Kind! Schriftstellerin?! So findest du doch nie einen Mann!»
Sie zählte mir auf, welche Autorinnen sich umgebracht hatten: Kopf in den Gasofen (Sylvia Plath), Steine in die Taschen (Virginia Woolf), Vergiften im Wald (Karin Boye). Ein liederliches, gefährliches Leben läge vor mir, weil eine Frau, die schreibt, Männer verschreckt, keinen Haushalt führen kann und den Herd nur aufsucht, um sich an der heißen Kochplatte eine Zigarette anzuzünden.
Diese Aussicht kam mir zutiefst verlockend vor.
Man stelle sich kurz einmal vor, dass ein Walser, Grass oder Mann sich das hätte anhören müssen. «Martin! Günter! Thomas! Was willst du werden, Buchautor? Nix da! So findest du keine Frau, du wirst Bürokaufmann!».
Ich besorgte mir mit 16 einen Job als Tresenkraft, kaufte mir eine Schreibmaschine, und begann, meine Familie ernsthaft zu beunruhigen.
Natürlich hatte ich keine Ahnung, wie das geht: Schriftstellerin werden. Es gab Anfang der 90er Jahre keine Schreibkurse, sondern den Genie-Mythos.
Die Muse träufelte Inspiration vorzugsweise in auserwählte männliche Gehirne, die am erhobenen Zeigefinger und einer schwartigen Dichterjoppe nebst schlackernden Rotweinbäckchen zu erkennen waren. Weibliche Vorbilder? Mangelware, außer der Extremvarianten: Ingeborg Bachmann als Jahrhundert-Ausnahme, und Utta Danella, die zwar alle lasen, doch keiner ernst nahm.
Schreiben, als Frau? – das war Anmaßung!
Und das war erst neulich, 1990. Die Älteren werden sich daran erinnern.
2013, etwa zwanzig Sachbücher, Romane und hundert Kurzgeschichten später, mit 39 Jahren und einer Titanbandscheibe (pink) im Genick, landete ich meinen ersten internationalen Bestseller, Das Lavendelzimmer, mittlerweile in 37 Sprachen erschienen. Ich hatte die zweifelhafte Ehre, von dem Drehorgeläffchen Dennis Scheck in die Tonne geklopft, und die charmante Satisfaktion, von Oprah Winfrey in den Himmel gelobt zu werden. Ich habe zwanzig Jahre gebraucht, um über Nacht berühmt zu werden.
Zwanzig Jahre, in denen es stets Frauen waren, die meine Arbeit veredelten und verkauften; wenn ich einen Roman frei gebe, läuft er durch im Schnitt acht Paar weibliche Hände und Gehirne. Frauen sind die unsichtbare Armee, die hinter allen Büchern der Welt steht. Die Branche ist weiblich.
Seit 1960 liegt der Anteil der Frauen in der Buchbranche bei 80 Prozent, das sind in Deutschland in Zahlen 62.000 von 78.410 Beschäftigten, und so viel Frauen in der Buchbranche, wie Rosenheim Einwohner hat. Oder Lugano.
Im Buchhandel etwas mehr (83 %), im Verlagswesen (65 %) etwas weniger.
Das obere Management ist immer noch weiblich unterbesetzt; die Zahlen schwanken zwischen sieben bis 17 Prozent. Der Pay Gap ist größer als in anderen Branchen; auch hier schwankt er zwischen 24% und 36%.
Man sieht es den Zahlen nicht an, doch sie sind dennoch das Ergebnis einer Revolution: Noch vor kaum 120 Jahren hielten es die Herren im rein maskulin dominiertem Buchhandel für unerträglich, dass sie den geistigen Feinstoff Seite an Seite mit den, Zitat, «dummen Frauenzimmern» verkaufen sollten, die von Porzellanmalerei auf einmal auf Nietzsche umsatteln wollten. Die verschreckten Gesellen argumentierten im Börsenblatt des Börsenvereins des deutschen Buchhandels unter anderem mit der Frage der Schicklichkeit: «Sollten achtbare Frauen gezwungen werden, einem jungen Lebemann die neusten Pikanterien vorzulegen?» – ach Liebelein, will man da seufzen, hätte das denn Fifty Shades of Grey verhindert?
Im Börsenblatt von 1895 findet sich ein Verleger, der Frauen als Buchhändlerinnen ablehnt, wegen ihrer, Zitat, «intellektuellen Defizite», ein anderer beschwerte sich, die Sortimenterin als solche besäße zu wenig, Zitat, «Anmutiges» und ein dritter weigerte sich, Autorinnen zu drucken, einfach «aus Princip», und weil Frauen nun mal nicht Schöpfen und Zeugen, sondern Aufnehmen und Transferieren. Männer, ja, die schufen Literatur, und Frauen, die schufen eben … tja … Frauenbücher.
Frauenbücher. Und: Frauenromane. Nur noch getoppt von: Frauenliteratur.
Bis heute gelten diese Begriffe en gros als Umschreibung für: «trivial, kitschig, Nackenbeißer und Arztromane», und diese Gleichsetzung von «Frauenbuch» mit «Gedöns/Menstruation/Lalala», bei gleichzeitiger Abwesenheit eines despektierlichen Synonyms für «Männerbuch» erklärt bestens, wie es aussieht mit der Rezeption von Werken aus weiblicher Hand: Mi-se-ra-bel.
Auch mein Erfolg, als erfolgreichste deutschsprachige Autorin im Ausland, gab mir nicht im Mindesten das Recht, dafür im Feuilleton aufzutauchen. Das könnte ich persönlich nehmen, nehme es aber vorzugsweise lieber statistisch:
Männer rezensieren, je nach Genre, zwei- bis fünf Mal öfter, länger und wohlwollender Männer, wie die Pilotstudie, die wir in Deutschland mit dem Netzwerk Autorenrechte und der Universität Rostock im Projekt #frauenzählen durchführten, 2018 herausfilterte; Autorinnen erhalten maximal 30 Prozent der verfügbaren Druckzeilen und Sendeminuten, und das nur, wenn sie bei Verlagen der E-Literatur veröffentlichen. Dieses «Damen-Drittel» deckt sich mit Zählungen in den Niederlanden und den VIDA-Reports in England.
«Frauen müssen schreiben, aber sie können nicht schreiben, wenn ihnen nicht erlaubt ist, ihr Geschlecht zu vergessen», sagt Corina Koolen. Die niederländische Literaturforscherin, die in «Dies ist kein Frauenbuch» die private und die medial-professionelle Kritiken von Werken aus weiblicher Feder mit Text- und Data-Mining analysierte, wies nach: Frauen wird das Etikett Frauenliteratur zugeordnet – Bücher männlicher Autoren stets literaturtechnisch diskutiert.
Schreiben Männer etwa besser?
Marcel Rein-Ranicki antwortete auf diese Frage in der FAZ: «Homer, Sophokles, Euripides, Horaz, Ovid, Vergil, Dante, Petrarca, Molière, Corneille, Racine, Shakespeare, Cervantes, Calderón, Voltaire, Goethe, Schiller, Balzac, Stendhal, Flaubert, Puschkin, Dostojewskij, Tolstoi, Proust, Brecht. Sie alle waren Männer. Genügt die Antwort?» Das war übrigens 2009, nicht 1509.
Ich würde am liebsten zurück schmettern: «Abonji, Sontag, Sachs, Woolf, de Beauvoir, Sagan, Lessing, Lindgren, Shalev, Jenny, Spyri, Allende, Berg, Evaristo, Colette, Austen, Sand, Dangaremba, von Bingen, de Pizan, Zeh, Franck, Hermann, Hustvedt, Munro, Kennedy, Ulitzkaya, Tocarzuk –», aber selbst dann würde es dumpf zurückschallen: «Frrrrauenliteratur!»
Ich möchte mich folglich der flämischen Schriftstellerin Kristien Hemmerechts anschließen; sie fragt in ihrem Werk «Der Mann, sein Penis und das Messer»: «Wie ist es möglich, dass die Menschen weiterhin an der größeren Wertschätzung männlicher Autoren festhalten, während es keinen nachweisbaren Qualitätsunterschied gibt?»
Ja, warum? Vielleicht an Gewöhnung: Der männliche Schreibende wird europaweit in den Empfehlungen der Schul- und Universitätslektüren vorgezogen; auf neun Werken von Männern wird im Bildungskanon im Schnitt ein Werk einer Frau empfohlen. Wenn Kindern und Studierenden jemand die Welt erklärt, dann jedenfalls selten jemand mit Vagina.
Das ach so freie Internet hilft da auch nicht richtig dolle weiter: Schaut man sich bei Wikipedia, das zu 90 Prozent von Männern befüllte Online-Pseudolexikon, an, was bei dem Begriff «Pornodarstellerin» herauskommt, im Vergleich zur «Lyrikerin», so finden sich bei der Horizontalartisterie 621 Einträge, samt sorgfältiger Filmografie über Werk und Schaffen, bei den Dichterinnen 143 Namen. Ich denke, die Prioritäten öffentlich-männlicher Relevanzen sind klar.
Obgleich in den meisten europäischen Märkten dieselbe Anzahl männlicher und weiblicher Schreibenden tätig sind, haben Männer in den Niederlanden eine 75 % höhere Chance, einen Literaturpreis zu erhalten. In Spanien und Slowenien liegt die Quote bei 86 % für die Herren; dies wird nur noch vom Nobelpreis mit 92 % übertroffen. Solche Missverhältnisse sorgten vielerorts dafür, AutorINNEN explizit mit Preisen auszustatten. Die Tendenz in Holland aber geht im Gegenteil dahin, Autorinnenpreise zu streichen; man hat dort beschlossen, die Emanzipation sei gelungen. Nun verleiht nur noch die Zeitschrift OPZIJ einen Literaturpreis für Frauen. Einer der Preisträgerinnen empfand die Auszeichnung als kontraproduktiv, Zitat: «Ich schreibe doch nicht mit meinen Brüsten.»
A propos Brüste: Als mittlerweile Präsidentin des European Writers‘ Council begegnet es mir mitunter, dass Lobbyisten, die das Urheberrecht so lange beugen wollen, bis es auf den Knien rutscht, in ihren Wortbeiträgen, auf Twitter oder in Politikdebatten, mit Fingern auf mich zeigen, da ich in meinen Sachbüchern unter Pseudonym überaus freudig mit Brüsten, Sexualität und Eros umgehe. Die Angst vor schreibenden Frauen hat viele Gesichter.
Vielleicht sollten wir unsere Selbstbetrachtung ändern – und alle Elche werden. Ja, Elche. Von unserer Arbeit, unseren Manuskripten, von denen Margret Atwood sagte, sie ähnele einem toten Elch – leben noch zwei dutzend weitere Lebensformen. Agentinnen, Verleger, Lektorinnen, Buchhändlerinnen, aber auch jene Kritiker und Kritikerinnen; es leben Übersetzerinnen und Ikeas Billyregalbauer von uns. Oder Lesecafébetreiber. Oder Bibliothekarinnen. Und Jeff Bezos, leider. Doch zu dem Selbstverständnis als erste Arbeitgeberin einer Milliardenschweren Wirtschaftskette finden jedoch die wenigsten Autorinnen; zu oft werden wir noch überwältigt von der leicht irren Dankbarkeit, überhaupt gedruckt zu werden. Den authority gap, die Anerkennungs-Lücke, in die Texte aus weiblicher Sicht in der Wahrnehmung, im Kanon, bei Schulbuchlektüren-Listen oder bei Preisverleihungen hinein plumpsen, ist auch emotional und mental in sich oft nur schwer zu überspringen.
Doch dafür möge auch dieser Tag des Kongresses hier dienen, um gemeinsam Anlauf zu nehmen – und zu springen.
Dafür möchte ich folgendes anregen:
- Schließen Sie den Datengap. Zählen Sie Frauen auf Podien, in Jurys, Stipendien, in Rezensionen, als befragte Expertinnen in Zeitungen, im Kanon der Schulbuchlektüre, als handelnde Personen in Text- oder Filmwerken, zählen Sie auch, wie viel Geld Frauen für dieselbe Leistung (Lesung, Panelteilnahme, Moderation etc.) erhalten im Vergleich zu Männern, usw. Damit Ihnen niemand mehr vorwerfen kann, Sie kritisieren den Aufmerksamkeits-gap doch nur aus Eitelkeit.
- Bilden Sie Banden! Eine Vernetzung quer durch Europa, zum Beispiel auch über das European Writers‘ Council, ist auf Zuruf möglich, um voneinander zu lernen und miteinander zu agieren: nordische Länder etwa formulieren Selbstverpflichtungen zur Besetzung von Gremien und Juries; Spanien und Portugal stellen gerade einen neuen Kanon weiblicher Literatur auf, Deutschland will sich den Schulbuchempfehlungen widmen und zudem Residenzstipendien mit entweder Kinderbetreuung ermöglichen, in den Niederlanden wird mit Tools künstlicher Intelligenz Texte auf Darstellung von Charaktere und Gender untersucht, usw.
- Keine Scheu vor Quoten – immer dann, wenn mit öffentlichen Geldern hantiert wird, ist nach dem Grundgesetz der Gleichheit eine Quote für Jurybesetzung und Verteilung der Gelder, hier insbesondere Fördergelder, Stipendien etc., adäquat.
Und, vor allem: Seien Sie stolz auf sich!
Oft wird Frauen , bereits in Kindheit und Jugend, vermittelt, sie dürften ihre Leistung nicht feiern, um andere nicht zu desavouieren oder unbotmäßig in den Mittelpunkt zu geraten. Legen Sie das ab. Es macht deutlich mehr Spaß, auf Können und Erreichtes stolz zu sein.