Observerin: Sarah Elena Müller

Die Medikation, das zu verkraften, dosiert jede* selbst

Frauen* im Literaturbetrieb
Symposium 18.-19. Juni 2022
Zentrum Paul Klee, Bern

Adieu dem Patriarchat!!!!!

«Ist das ok so?» fragt mich Julia Weber zu ihrem Post. Auf Instagram ist Polemik ein Muss. Aber das ist ja noch höflich. Adieu. Beinahe höfisch. Und Zweisprachig. Adieu. Nun aber herzlich willkommen. Passen Sie auf, wo Sie sich hinsetzen, wir haben noch Lücken.

«Sie werden die Lücken bemerken», sagt Nicole Pfister Fetz vom A*dS über das, was sie gleich präsentieren wird. Zahlen, Statistik, strukturelle Analysen. Machen Frauen* eher transparent, dass das, was sie erzählen niemals die objektive und allgemeingültige Wahrheit abbildet? Selbstperforierung, Zurückhaltung oder ein Versuch von Ehrlichkeit? Ich weiss nicht. Ich habe auch eine Lücke. Schnell gestopft mit Vermutungen.

Die Vermutung, vielleicht der Urkrampf aller Fehlschlüsse. Ein Mut, der sich im Bedeutungsdickicht verlaufen hat, sich in der Einsamkeit selbst überzeugend den Weg erfindet und statt danach zu fragen, grossmaulig in jede Lücke hineinschwadroniert. Auch den Herren Autoren begegneten während der Erkundung ihrer Innerlichkeit Lücken. Sie vermuteten, daran sei ihre Mutter schuld. Sie vermuteten dies so nachdrücklich und auch wechselseitig bestätigend, dass es sich bald wie eine weltgültige Feststellung las. Aus dieser ver- und zugemuteten Lücke wurde die Gussform guten literarischen Geschmacks. Die Qualität dieser Vermutung straight out of Innerlichkeit wurde nicht hinterfragt, weil sie der normierten Äusserlichkeit gut entsprach und zudiente. Draussen in der Äusserlichkeit sitzen noch andere und zählen. Machen ihre Hausaufgaben in der Quantität und zählen neu auch sich selbst dazu. Aber sie finden trotz ihrer beachtlichen Anzahl keinen Platz in der umgestülpten Innerlichkeit der Autoren ohne Sternchen.

Und die Sternchen ?

Sie sind toleriert. Sie dürfen gerne den fernen Himmel befunkeln. Ihr Licht dringt dekorativ heran und die weltgültige Welt hofft insgeheim, dass sie längst erloschen und bloss ein Phänomen sind. Denn ein Phänomen kann naturgemäss belassen werden, auch wenn es nichts Gerechtes an sich hat.

Die Statistiken stagnieren bei 40% zu 60% ?

Phänomen.

Der Kanon wird nach wie vor von Männern für Männer geformt?

Phänomen.

Den branchentragenden Frauen* sind meist Herren überstellt, die regelmässig eine ausgewogene Programmierung verhindern ?

Phänomen.

Kaum Erinnerungsgesellschaften für weibliche* Literatur ?

Phänomen.

Dass all das mit Qualitätsargumenten begründet wird, die ebenfalls stagnieren ?

Phänomen !

Ein weiteres, scheinbar unheilbares Phänomen? Die maximale Beschleunigung der Berichterstattung. Getaktetes journalistisches Alltagsgeschäft trifft auf literarisch gestreckte Zeitdimensionen. Die Produktionszyklen von Text und Metatext klaffen als Vakuum auseinander, das interdimensionale Wissen implodiert schon vor seiner Entstehung. Das Alltagsgeschäft, seine Sofortness und entsprechende Ungeduld sind tagesaktuell, kurzlebig und die Headlines stehen dumm wie Brot und Esel am ungelesenen Berg Bücher. Viel zu träge all das. Esel, Brot, Berg, Buch. Schnell weichen die Trends aus. Und die aufgeregten Marketinggeläuterten rasch hinterher. Das Publikum hat wieder einen Trend gewittert. Cervelat und Rösti ergab die Onlineumfrage. Das Publikum? Was sage ich. Die Kundschaft. Sie will mehr Cervelat und Rösti. Das ist doch solide Bildungsnahrung. Bildungsauftrag Wurst. Verkaufsargument Senf. Eine Sauce von Begriffskulturen füllt auch diese Lücke. Ökonomie. Bildung. Rentabilität. Ein unheimliches Gemisch. Da bleiben die männlichen Redaktionskollegen lieber bei ihren Autorenbromances in der Achselhöhle und schwitzen gemütlich das Gewohnte aus.

Wir wollen jetzt als Übung einmal selbst in diese Lücke steigen. In den Schwitzkasten. Dieses kollegiale Territorium. Wir schubsen einander herum, rangeln ein wenig und bauen Berührungsängste ab.

Denn werden wir in unseren Leben berührt vom Schreiben anderer, so steht doch verinnerlicht im Kleingedruckten as part of tradierte Geschmacksgussform, dass die Undeutlichkeit von Leben und Schreiben Vermuuuu*tlich dilettantisch sei. Wir müssten lernen, dass alle, wirklich alle* sich anmischen dürfen, mit dem, was sie tun. Weil es eine Freiheitsbewegung ist. Diese Anstiftung des Selbst zum Bezug. Potenzierte Autonomie. All das, Auto und Potenz, das wissen wir doch, darf nur an gewissen Punkten in der Gesellschaft gehortet und gepflegt werden. Lieber reflexartig bewerten und in Schach halten. Sonst Anarchie. Sonst Mütter* überall. Schuldbefreit. Achtung. Die Bildungsinstitutionen verschreiben Rigidität als Gegenmittel. Karrierebedingungen abstecken. Thomas Mann. Man*n dissertiert. Reüssiert. Höchstens mit Frau Bachmann geht man nicht den Bach runter. Ach, Kalauer! Danke Birgit Kempker, du bezeichnest, worin ich verfalle. Auch ich, auch du, common medication among Menschen wenn sie sagen wollen: WORT! Sei nicht so absolut, du tust mir weh.

Könnten wir uns denn im Umkehrschluss unabhängig machen von Aufmerksamkeit? Eigensinn und Eigenhall, statt in der Affirmation der Patriarchatsproblematik verohnmachten? Die Gesichter der Professor*innen erstarren. Hypothetisches Echo auszuklammern ist ein Privileg der Schreibenden. Die universitäre Logik aber verlangt nach Resonanz. Strukturelle Dringlichkeit erfüllt diejenigen, die das Alltagsgeschäft und die Alltagsbildung tagtäglich an die nachwachsende Generation und die breite Öffentlichkeit heranfüttern. Sie wissen künstlerische Abgewandtheit zwar zu schätzen, wollen kein Sakrileg an ihr an ihr begehen, können sie aber nicht pragmatisch einbetten. Sind sie die bösen Eltern, die die Anarchie ihrer Kinder ins die Maschine einsortieren und ihre wilde Energie verwertbar machen? Fair und gerecht? Oder sind sie die Schreiber*innen der breiten Geschichte, die das erneut zwischen den Generationen ausgebrochene Problem abdämpfen könnte?

Die Generation X ruft aus: Schon wieder dieselben Themen! Wie redundant langweilig. Die Resultate der Vorgänger*innen sind nicht still und selbstständig in die Gene übergegangen? Scheinbar nicht vollends. Strategiewechsel gefällig? Was denn nun! Mehr Diskurs? Weniger Diskurs? Gern Streit? Es knirscht. Sand rieselt irgendwo raus. Abrieb der Zeit oder die Zeit selbst, die es leid ist, an den Erfolgen eines einzelnen Lebens gemessen zu werden. Oder wollen die Vorgänger*innen am Ende einfach ihre Ruhe ?

Wer will schon mitsamt der beschworenen Seilschaft und alpinistischen Metaphorik in längst überwundene Abgründe gerissen werden. Den Zorn von X, dass Y nun schon wieder das Patriarchat durch Kampf bestätigt, kann nur Vermittlung lösen. Ohne Vermittlung verspeist die feministische Arbeit und Archivierung sich selbst und es bleiben keine Nährstoffe für die Generationen, für die noch nicht mal bezeichnende Buchstaben im Alphabet übrig bleiben nach dem Z. Manche Bewegung braucht mehr Sinn, als ein Leben allein abwirft.

Aber nun wollen wir uns freilachen.

Eine Anekdote, bisschen private Geschichtsschreibung à la carte. Ein Lückenfüller:

Neulich beim Essen wird gefragt: Wer ist denn aktuell das politische Gewissen der CH-Literatur, der neue Max Frisch ? Lukas Bärfuss ? Ja, vermutlich. Ich werde mich dann auf die frei gewordene Stelle von Lukas Bärfuss bewerben. Hochoffiziell. Am besten direkt bei ihm.

Hallo lieber Lukas, ich habe gehört, dass du der neue Max Frisch wirst, da dachte ich, ich bemühe mich um deine alte Stelle als Lukas Bärfuss. Diesen Platz musst du ja dann räumen, wenn du aus dir heraustrittst und aufsteigst in den Olymp der lebenden Toten.

Ich glaube er fände das sogar lustig. Eine wirft ein, dass jede halbwegs engagierte Gewerkschaftssekretär*in mehr politische Wirkmacht hat mit ihrem Schaffen als Lukas Bärfuss. Messbarkeiten. Ich ermesse an mir das Lukas Bärfuss Potential und ich begehe bereits einen fatalen Fehler, ziehe den Schwanzvergleich zurück und wieder ein – trete stattdessen dem A*dS bei. Haha. Bravo.

Kurz entspannen wir uns in gemeinschaftlicher Beschenkelung. Doch schon bald geht das Gespenst der Öffentlichkeit wieder um. Wer soll das sein? Sind wir nicht unsere eigene Öffentlichkeit ? Wieso erwarten wir denn, von dieser autoritären Gesellschaft wahrgenommen zu werden, wenn wir selbst diametral andere Erfahrungen beschreiben. Andere Werte leben und auch bearbeiten?

Zerrissen zwischen Anerkennung und Selbstermächtigung.

Habe ich da ein Augenrollen gesehen? Bei der weiblich gelesenen Person mit Sternchen? Diese könnte ein Lied davon singen. Nein, warum denn allein? Wir sollten zusammen singen. Uns ansingen und anerkennen, gekannt sein von der* Anderen. Druck aufrecht erhalten durch Gesang. Und mit Druck den Unterboden gegen den Stuhl reiben im Lesekreis, sich aufladen, hochschaukeln, aufgeilen und anhimmeln im Lesen, Leben, Denken und Fühlen, im weichen Licht der Sterne, unbetroffen vom strengen Schattenwurf der Heteronorm.

Ich weiss doch selbst, dass die Humorlosigkeit der politischen Arbeit zum Gähnen ist. Diese Lücke ist mir bekannt. Auch ich gähne und öffne eine Lücke aus Fleisch in meinem Gesicht. Und sag mir noch eine*r das sei ein Loch, dann werde ich daraus ein Wort gebären oder ein Gebärbild hervorwürgen. Oder ich entweiche mir glatt selbst, sodass mich keins dieser Probleme mehr angeht. Aber Mund zu. Denk nach.

Künstlerisches Wissen ist also nicht massentauglich anwendbar? Intrinsischer Irrsinn nicht praktizierbar in einer Welt des Kampfs und Konsens? Gibt es denn überhaupt ein Szenario, das konsequent umgesetzt wirklich als interessantes, anthropophiles Szenario gleisst ? Ich vermuuuu*te, wie sollten uns nicht von der Arroganz, etwas genau zu kennen, versemmeln lassen. Wir bröseln so persönlich daher, die Semmeln ziehen frisch gebacken vorüber. Das Denken zieht den Semmeln nach, sie sind knusprig und von Interesse. Spröde könnte man werden im Leerlauf, I know. Ich verstehe allen Frust. Und mampfe in die Lücke hinein. Frust ist Frust. Punkt. Empört poltert aus dem zögerlich betretenen Fundament des Erkämpften. Feministische Wunder sind also nicht einmal aufblasbar und bleiben dann vollbracht ein Leben lang drall? Trotz der Generationen? Trotz. Trotzigkeit.

«Wir haben euch diese Gummitiere aufgeblasen mit Luft aus unserer Lunge und nun meint ihr, sie seien bereits wieder erschlafft ? Kurzatmigkeit. Schwellenangst! Ihr sollt die Schwelle besitzen wollen, das Wissen, das Holz!» rufen die Vorgänger*innen. «Nicht kleinteilig zerkrümeln mit Bedenken und Befangenheit!»

Schon wieder Andeutungen von Gebäck. Du kannst dir nächstes mal ein Bäcker*innensymposium herbeifantasieren, wenn du was gegen den akuten Bedeutungshunger brauchst. Bakery in progress. Aufgehender Hefemond. Dann doch noch in der sich selbst überhastenden Sprache die Kurve gekriegt und punkto Raumnahme gedacht: Selbstermächtigung doch wieder lassen, Selbstverdrängung üben. Sich zwar aufblasen, aber im verdrängten Teil wirken. Im Geheimen, dort wo alles denkt, du hättest dich überwunden. Ruhe für die Arbeit. Und eine Leselampe.

Wie viele feministische Kongresse braucht es, um eine Glühbirne zu wechseln? Damit auch der Glanz des Geldes die sprechenden Gesichter gleichmässig umspielt? Alle wollen leuchten. Ebenso das Publikum. Möchte erhellt und vom guten Licht beschienen hinausschlendern, aus Lesung oder Inszenierung – Anmut ist das höchste Gut. Wir sollten also über die Auslegung von Anmut sprechen. Die Vorstellung davon ergänzen und dehnen. Bis zum Anschlag. Nein, kein Terror. Dort, wo das Behältnis Haut nicht mehr mitkommt. Wo der Markt erschlafft. Wo die Verkaufszahlen einsacken.

Und kurz stellen wir uns vor, wie die Bestsellerautorin in ihrem neuen Bestseller die Cellulite lobpreist und verhandelt, überproportional und detailgetreu. Aber die Bestsellerautorin löst das anders. Sie beschreibt kein Aussehen keiner Figur mehr. Und sollten obendrauf vergleichbar erschlaffte mentale Zustände auftreten, werden die Figuren keine Eigenschaften mehr haben. Hihihi*.

Und doch, das Vorhandensein liegt auf der Hand. Der Markt absorbiert NUR Vorhandenes. Nahe liegt es. Die Kundschaft greift danach und ganz unsichtbar, wie von Geisterhand bewahrheiten sich die Gesetze. Entsteht das Phänomen. Denn der Buchhandel und der Bestseller sind BFF’s. Eine Zwangsfreundschaft par excellence. Eine heisse Kartoffel. Die heisse Kartoffel wird weitergegeben, als Verantwortung kullert sie die Kaskade hinunter oder traversiert, à travers du Buchmarkt. Ce n’est ni notre patate, ni notre responsabilité. 70% der Belletristik wird von Frauen* gelesen.

Was lesen denn diese Frauen*? Kartoffelratgeber?

Nein, Doofie, Belletristik.

Und wer hat DEREN Qualität geprüft?

Ist es letztlich doch die mangelnde qualité humaine, die zulässt, dass unbewusste Abwertungen in den Leseblick diffundieren, ihn erhärten? Lassen wir uns vom eigenen Geschmack qua Selbstkonstitution geistig einbetonieren, weil wir das für ausgereift oder schick halten? Da hilft nur eine Rückspiegelung der Kriterien, eine Schärfung der Regeln. Wir schärfen, um die Schärfe der Meinungen zu entschärfen, die eigenen Spielregeln zu verwirbeln. Aber geht das denn quantenmechanisch auf? Oder spricht da evtl. wieder die Überheblichkeit des Selbst, das sich eitel zuraunt: Ich, ich, ich. Nehme mir vor, mich zu hintergehen. Höchstpersönlich. Sachdienlich. Mit geschärftem Messer fachfremd mir selbst zu werden. Langsam und stetig. Und was ich prognostiziere, wird eine Erfüllung von Vielfalt nach sich ziehen. Wird. Ich kenne diese vielfältigen Namen nicht. Noch nicht. Ich spreche sie aus. Meine Vorsicht dabei verrät mich. Es knackt in der Leitung der Gründerfiguren.

Wer ruft denn an, mit dem frischen Blick und halbem Ohr und hütet neu die Schwelle?

Hörst du noch zu mit einem Fuss? 

Es geht um die Namen, die uns unbekannt sind!

Ach jetzt sag doch nicht immer «uns», das macht mich krank.

Wir wollen doch nicht stets über Identitäten reden.

Doch.

Nein! Wir wollen Qualität ohne Identität.

Wie soll ich denn mein Selbst anmischen mit meinem literarischen Schaffen, erhaben bittesehr, wenn ich keins haben darf? Heute das Selbst vergessen und morgen der Qualität selbst begegnen. Und von ihr getragen am Ufer der Verlagslandschaft stranden. Hoffentlich wachsen mir rechtzeitig Beine und Lungen, am konkreten Festland zu bestehen, zu atmen, dem Erfolg hinterher zu stolpern. Mir blüht eine austrocknende Entwicklung.

Dann geh doch zurück ins Wasser  – seriously. Du langweilst hier schon wieder alle am Festland des korrosiven Alltags. Den Weg zurück zum Ufer musst du selbst finden. Diese Art von Begleitung ist leider nicht finanzierbar. Fetter Pottwal!

Wer uns beschimpft, ahnt gar nicht, wie vielfach professioneller wir das längst selbst tun. Held*innen der Schreibverletzung – ohne Identifikationsecho. Durchfliegen unregistriert den Resonanzraum. Der Resonanzraum ist faul und voller Semmelbrösel. Pustekuchen. Männerknödel. Frau* im Schlafrock. Bücher im Teigmantel. Universalgelüste Frischback. Irgendwas daran schmeckt schal.

Konstatieren und herstellen von Welt, fuhrwerken darin, haptisch und zuversichtlich, gebieterisch im Gebiet. Aber ist es denn so solid, formbar und ready to be possessed? Tun wir immer so, als wäre Welt ein Terrain, das wir nur zu betreten brauchen. The postcolonial self sets foot. Die umgekehrte Lesart sollte auch Beachtung finden. WIR kommen nicht zur Welt. Wir werden IN SIE hineingestaltet, dann gestaltet sie uns den vorherrschenden Qualitätsansprüchen entsprechend aus und hernach gestalten wir sie bestenfalls bäurisch-selbstwirksam ein wenig mit.

Die Medikation, das zu verkraften, dosiert jede* selbst.

Zeichensystem und Deutungsschwankung.

Werkzeug und Wörterbuch.

Gift oder Rückzug.

Demut, please.

Ich werde nun noch ein wenig in Höflichkeitsform daherreden. Ratlosigkeit in disguise. Verhalten Sie sich einfach, als würden Sie Ihr Leben lesen und Ihr Schreiben leben. Prüfen Sie und denken Sie niemals, sie seien in Sicherheit. Oder im Recht. Wir wollen den Zwitterzustand üben. Sonst nichts. Und informieren Sie hernach, die abwesenden Herren über diese Übungen. Vergrössern Sie Ihr Sprechorgan. Verkleinern Sie sich nicht vorauseilend selbst. Ja, der Ort ist eng zwischen den aufgegangenen Vorgänger*innen, den herrlichen Herren und dem eigenen, inneren Blasebalg der Ansprüche. Und ja, es kann vorkommen, dass eine auftritt, die sagt: Merci bien, ich konnte ungehindert mit dem Universum verschmelzen. Das Leben leben, das ich mir gewünscht habe. Piepegal waren mir Geschlechterfragen. Eine die sagt, diese verminderte Beminderungsrealität ist nicht wirklich real. Und wenn Sie sich dann schon kleiner gemacht haben, fallen Sie schliesslich gänzlich durch das Strickmuster der Wirklichkeit.

Oder es tritt eine Feststellung auf, z.B. in einem Entscheidungsgremium:

«Wir brauchen eine FraUUUU*****»

Mit vielmehr U* hinten als nötig, weil man ja noch überlegen muss, während das Wort noch ausgesprochen wird. Und ob Sie sich diesem Begriff mit unheimlichem UUUH im Nachhall, den Uhus, dem Kauzgeräusch oder anderen verschreckten Waldgespenstern zugehörig fühlen oder nicht, hintersinnen Sie sich nicht. Nicht in diesem Falle. Lassen Sie sich nicht von Ihren Inhalten entfernen oder zur Verfolgung des Zweifels in eine Winnie the Poo und Piglet Schlaufe verführen. Hinter dem Heffalump her, um den Busch herum im Kreis wird da geschlichen. Mit jeder Umrundung erschafft sich das Heffalump selbst, die eigenen Spuren im Schnee, bald Beweis genug.

Wenn es hilft, distanzieren Sie sich von Ihrer Weiblichkeit. Oder deklarieren Sie sich geschlechtsblind. Wenn es innere Beleidigtheiten abwenden kann, warum auch nicht. Meine Beleidigtheiten wirken dennoch in mir, denn ich bin ein lebendiges Wesen und auch eine Frau*. Unaffirmiert. Voilà. Vorsätzlich unschabloniert und doch getroffen im Schnitt, der das Eine vom Anderen trennt. Die Eine ergibt die Andere, Abgussformen für- und voneinander. Neuerfindung ist nicht die für alle praktikable Implosionsform.

«Dass ich in einer Welt aufwachse…» raunen die genderabstrakten Faune und Feen im Sommernachtstraum. Sie wollen eine Welt, die auch ihre Welt werden kann. Aber ganz ohne Welt geht’s nicht. Und manche, erfahren und erschöpft, seufzen: Um Himmels Willen, verkündet doch jetzt einfach eure Selbstachtung und Basta und hopp rein in die Freiheit und Welt und was immer ihr noch alles wollt.

Können Sie sich vorstellen, wie sehr wir bemüht sind, Ihnen zu gefallen?

Bist du noch immer höflich?

Ja. Also, nein. Ich meine, ihr! Ich meine euch.

Könnt ihr euch das vorstellen?

Nein, das wurde noch nicht integriert in den Gesamtratgeber, in dem die persönlich bevorzugte Realitätsauslegung Wirklichkeit heisst. Dass es welche gibt, die sich wünschen, in euren Augen zu bestehen. Real empfunden. Wirklich. Wir wollen eure Liebe, nicht eure Distanz!

Ich gönne euch euren Rest Leben, ihr werdet ihn wohlsublimiert und ungestört zubringen. Aber ich bin eine nach Halt gierende Nachfolger*in. Ich will euch gerecht werden. Und ich will eure Liebe.

Redet sie von Liebe, romantisch, oder? Sie ist wohl lyrisch veranlagt. Dabei ist Liebe doch längst kein Argument mehr. Porno z.B. ist ergiebiger auf Wiki, quicky gefüllt mit geilen Namen von Frau*. Aber Lyriker*in gibt Lücke auf Wiki, nix ficki. Und poppt dann doch mal ein Name auf von Frau* dann einfach Augenwischi, alles wieder gut, heile heile Einzelfrau*, jetzt reicht’s aber. Oder willst du nun doch noch irgendwo eine Ersatzmutter* suchen, um an ihr den Gewaltakt deiner Existenz zu verhandeln? Ich bitte dich.

Es kann sein, dass jede einzelne Frau* etwas zu erzählen hat, weil sie eine Frau* ist. Es ist kein Defizit, das wir ausschlachten. Es ist gültiges Menschsein. Und jedes Menschsein bleibt ambivalent, oder amphibisch. Ich schreibe meine Froschliteratur. Und esse meine Brotliteratur. Und vielleicht lasse ich mich befreien von der Fantastik. Und vielleicht verliere ich den Halt. Und auch die Symbolik. Sie kann aufgehäuft werden, bis sie kippt. In etwas, was sich plötzlich wie Handlung anfühlt.